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Von der Lust und Last des Lebens in der Burg

Eric Freiherr von Thüngen lebt mit seiner Frau Nadja, Tochter Hildolphine, Sohn Karl-Kilian und Mutter Christiane in einer besonderen Umgebung: ihre Hälfte der Burganlage wurde 1564 nach dem Bauernkrieg wieder aufgebaut auf den Grundmauern aus dem 12 . Jahrhundert. Heute wird dieser östliche Teil der Burg – Spitalschloss genannt, da er samt der dazu gehörenden Ländereien über 200 Jahre bis 1854 an das Juliusspital in Würzburg verpfändet war. Ein lebensfroher Vorfahre beim Klerus  hatte das Erbe seiner Mündel durchgebracht und somit gingen Teile des Schlosses und ein Viertel des damaligen Ortes Thüngen in den Besitz des Fürstbistums über. Später wurde das Schloss in ruinösem Zustand von Wilhelm Freiherr von Thüngen (Ururgroßvater von Eric ) zurückgekauft, der die Stallungen, die Scheune abriss und Teile des Gebäudes im Tudorstil ersetzte. Auf dem Burghof, keine 20 Schritte entfernt, steht eines der ältesten Gebäude im gesamten Landkreis. Der quaderförmige Wohnturm, genannt der „Alte Stock“, wurde erstmals im Jahr 997 in einer Urkunde erwähnt und ist in seinen Ursprüngen mehr als 1.000 Jahre alt.

Geschichte zum Wohnen und Anfassen

Die junge Familie lebt seit über zehn Jahren im sogenannten Spitalschloss. Neben dem Alter ihres Wohnsitzes ist der Zuschnitt der Räume ungewöhnlich. „Hier finden Sie keinen rechten Winkel, keine Symmetrie und auch keinen durchgehend eingehaltenen Baustil“, sagt der Schlossherr. Er kennt das  Gebäude von Grund auf, gewissermaßen jeden Stein. Schließlich ist er schon als Kind durch die Gemäuer gestreift und hat dort alles gründlich untersucht. Er kennt die teilweise mehr als meterdicken Wände, die in den Räumen mit bis zu 3.50 Meter Deckenhöhe zwar im Sommer für eine angenehme Kühle sorgen, aber dafür im Winter nur mit einigem Aufwand zu beheizen sind.

So gibt es im Spitalschloss zwar selbstverständlich eine moderne Zentralheizung, doch stehen auch zusätzliche Holzöfen bereit, die auch fleißig benutzt werden. Der besondere Zuschnitt der Räume – man könnte ihn teilweise durchaus chaotisch nennen – hat seinen historischen Hintergrund, erklärt von Thüngen. Seine Schlosshälfte wurde 1564 bis zum teilweisen Abriss als dreigeschossiger Bau mit Zwiebeltürmen  errichtet, der Ostflügel war für die Tiere im Burghof als Stallung und Scheune gebaut. So liegen heute die verschiedenen Baustile ganz nah beieinander.

Allerdings bietet die Burganlage für den 48jährigen  Freiherrn einen schier unendlichen Freiraum, nämlich Platz. Denn entsprechend der baulichen Vorgabe, wonach hier alles eben anders ist, sind auch seine Leidenschaften durchaus etwas ungewöhnlich. Er  sammelt persönliche Erinnerungsstücke, historische Dokumente, alte Porzellanfiguren, Ölbilder der Vorfahren und wichtige Exponate aus der Familiengeschichte, eben so wie man es in einem Schloss erwartet.

Auf ein eher unscheinbares Stück ist Eric besonders stolz: ein alter Bierkrug des Widerstandskämpfers vom 20. Juli 1944, des Panzergenerals Karl Freiherr von Thüngen, damals Rittmeister im Bayerischen 17. Reiterregiment in Straubing. Er war auf nicht nachvollziehbare Weise nach dem 2. Weltkrieg  abhanden gekommen und gelangte nach Jahrzehnten aus den USA wieder zurück nach Thüngen. Dann ist da noch eine ganz liebenswerte Variante der Sammelleidenschaft. Im zweiten Stock steht ein unscheinbares Schränkchen mit Schiebetüren. Dahinter verbergen sich Erics Erinnerungen und Spielsachen aus Kindertagen. Da sind z. B. Kästchen mit Puzzle-Würfeln, die sich zu verschiedenen Bildern umlegen lassen, Legespiele aus Holz mit Quadern, Dreiecksäulen und Zylindern aus den 1960er Jahren. All das ist anderswo längst verloren gegangen.

Endloses Renovieren – unendliche Möglichkeiten

Doch wie erhält man so ein großes Schloss? Anlass zu dieser Frage gibt eine hohe Leiter, die scheinbar bezugslos im Treppenhaus lehnt. Nadja Freifrau von Thüngen fasst die Antwort in einem Satz zusammen: „So ein Anwesen ist wirklich Lust und Last zugleich!“ Die berufstätige Ärztin, Mutter von zwei Kindern, ist Vorsitzende des Vereins „Thüngener Reyter“ und reitet selber leidenschaftlich gerne. Der Rest der Zeit geht dann oft für Arbeiten am Gebäude drauf. Ihr Gatte präzisiert: „Wenn man glaubt an einer Ecke mit Reparaturen und Sanierungen fertig zu sein, geht es an anderer Stelle schon wieder weiter. Manchmal auch schon früher!“ Er zeigt auf verwitternde Fenstereinfassungen aus Sandstein, schadhafte Balken im Dachstuhl und zugige Fensterfüllungen, weil ja auch hier nichts rechtwinkelig ist. Die Dimension von Reparaturen an und in einem solchen Gebäude sind grundsätzlich aufwändiger und deshalb teurer als an üblichen Häusern. Deshalb legt der handwerklich begabte Tüftler, soweit es geht, selbst Hand an. So gibt es auch einen finanziellen Grund, die überzähligen Räume zu vermieten.

 

 

 

 

 

 

Für Wohnungen im Schloss mit vier Stockwerken und 144 Fenstern ist Platz genug. Langjährige Erfahrungen als Mieterin im Schloss hat Martina Schmitt gemacht. „Vieles unterscheidet sich nicht von anderen Mietwohnungen, aber die Fußböden sind ein Alptraum für die Jugend“, schmunzelt sie. Schließlich knarren die Dielen fast überall, und es ist kaum möglich, unbehelligt zu später Stunde durch die Wohnung zu schleichen. Frau Schmitt genießt die räumliche Großzügigkeit und den individuellen Charme jeder der Wohnungen. „Jedes Appartement ist anders, und da gibt es zum Beispiel unvermittelt zwischen zwei Zimmern Stufen, deren Sinn keiner kennt“, sagt sie. Und gibt es denn auch einen Schloßgeist? Weder die Mieter noch die Familie des Hausherrn und  besonders der neugierige Zweitklässler, Karl-Kilian, sind dem sonst allgegenwärtigen, unheimlichen Mitbewohner begegnet. Schade eigentlich!

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