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Mit dem E-Trike zur Obstwiese


Gut acht Prozent Steigung und fast drei Kilometer lang ist das Stück auf der Staatsstraße von Karlburg nach Wiesenfeld hinauf zum „Remmetle“, dem Riementaler Berg. Der Höhenunterschied zum Maintal liegt bei knapp 100 Metern. Im Schritttempo fährt ein seltsames Gefährt den steilen und bei Autofahrern gefürchteten Berg hinauf. In stoischem Gleichmut tritt Walter Klühspies in die Pedale.

Nicht alle Autofahrer reagieren freundlich und verständnisvoll, wenn der Senior mit seinem dreirädrigen Pedelec langsam den Berg hochstrampelt. Schließlich zwingt er sie langsam zu fahren, überholen ist manchmal schwierig, das Remmetle hat nicht umsonst einen Ruf als Unfallschwerpunkt.

BEWEGUNG AUF ÄRZTLICHE VERORDNUNG
Von April bis Oktober ist Walter Klühspies fast jede Woche so unterwegs, denn er besucht seine Streuobstwiese im Wiesenfelder Herbsttal am Osthang des Mausbergs. An sich ist das ja nichts  besonderes, aber der Senior ist 83 Jahre alt. Er wohnt im Altenheim der Karlstadter Heroldstiftung und ist stark gehandicapt wenn es um die körperliche Mobilität geht.
Vor etwas mehr als zwei Jahren stand es wirklich sehr schlecht um ihn. Seine Knie und die  Beinmuskulatur versagten fast vollständig den Dienst und er konnte sich nur noch mithilfe eines Rollators vorwärtsbewegen. Ihm war klar: „Wenn ich wieder laufen kann, muss etwas passieren! Ich brauche ein Fahrzeug!“
Als er dann nach längerer Behandlung doch wieder einigermaßen mobil war, verordnete ihm sein Arzt viel Bewegung, beispielsweise Rad fahren. Doch daran war wegen seiner Beinprobleme nicht zu denken. Nach einem Gespräch mit dem örtlichen Fahrradhändler Volker Rosenberger, kam auch ein Pedelec nicht infrage. Klühspies war wegen seines hohen Alters nicht mehr sicher auf zwei Rädern. Doch der Radl-Fachmann hatte die richtige Idee: ein Pedelec auf drei Rädern gibt Stabilität und Sicherheit. Vor allem bei Senioren.
Für den inzwischen wieder rüstigen alten Herrn gibt es zwei günstige Umstände: zum einen hat er in der Heroldstiftung eine kleine Zweizimmerwohnung zu ebener Erde. Über die Terrassentür kann er sein Fahrzeug bequem in die „gute Stube“ fahren. Zum andern war der ehemalige Landwirt und Arbeiter in
einer Betriebswerkstatt schon immer ein begeisterter Tüftler. So hat er sein E-Trike in Eigenregie verbessert, stabilisiert und mit jeder Menge Extras ausgestattet.
Wenn möglich, ist er täglich auf Tour unterwegs. Entweder auf dem Fahrradweg in Richtung Gambach bis unterhalb des Edelweißes oder aber einmal die Woche hinauf ins Herbsttal, wo seine Apfelbäume stehen. Die verschneidet und pflegt er weitgehend noch selbst und erntet im Herbst auch Jona Gold, Elstar, Landsberger oder Goldparmäne. Zum Glück reicht eine Akkuladung gerade so, um sicher wieder nachhause zu kommen.
Was dem 83-jährigen Walter Klühspies sein Elektrorad bedeutet, fasst er in einem Satz zusammen: „Wenn ich dieses Fahrzeug nicht hätte, hätte ich gewiss ein anderes – einen Rollstuhl!“

DIE QUALITÄT IST BESONDERS WICHTIG
Elektrofahrräder sind längst keine Fahrzeuge für alte Leute mehr. Zwar ist das „Einstiegsalter“ der Fahrer noch bei 55 Jahren und mehr, doch interessieren sich zunehmend junge Menschen dafür – nicht zuletzt, weil es inzwischen auch sportliche Varianten wie Mountain-Bikes gibt. Mittlerweile machen die Pedelecs rund 30 Prozent des Umsatzes aus, sagt der Fahrradfachmann Volker Rosenberger aus Karlstadt.
Der Motor eines Pedelec unterstützt die Tretkraft des Fahrers nur so lange wie der selbst in die Pedale tritt. Ab einem Tempo von 25 Stundenkilometern schaltet  der elektrische Antrieb automatisch ab. Ein Helm wird zwar nachdrücklich angeraten, ist aber nicht Pflicht.
Fachleute raten beim Kauf dringend von Billigprodukten ab. Die Verarbeitung des gesamten Rads, des Motors und besonders der Bremsen sind wichtig. Weil das Fahrzeug nicht nur schwerer ist als herkömmliche und man damit auch schneller unterwegs ist, ist hier das Beste gerade gut genug. Ein Akku reicht im Allgemeinen für knapp 100 Kilometer. Allerdings reduzieren Gegenwind, Berge und häufiges Zuschalten der Maximalunterstützung diese Reichweiten rasch.

Akkus sind sehr temperaturempfindlich. Sie sollen nicht über 50 Grad Celsius aufgeheizt werden, die erreicht man an warmen Tagen im geschlossenen Auto schnell. Im Winter ist es besser die Batterie zum Aufladen und Aufbewahren ins Haus zu nehmen. Gegen eine Tour bei Minustemperaturen gibt es aber keine Bedenken.

NICHT NUR FÜR SENIOREN
Gerade für Pedelec-Pedal-Ritter ist aber der Schutzhelm wichtig. Durch die höheren Geschwindigkeiten steigt das Unfallrisiko und die Gefahr ernsthafter Verletzungen. Ein Sturz bei 30 Stundenkilometern entspricht einer Fallhöhe von vier Metern. Die extrem fest greifenden Bremsen können einen unerfahrenen „Reiter“ schon mal aus dem Sattel heben. Fazit: Ist das Pedelec ein Fahrzeug nur für alte oder faule Radler? Dazu ein klares Nein! Im Gegenteil senkt das unterstützte Fahren besonders in unserer bergigen Gegend die Hemmschwelle „auf die Piste zu gehen“. Man kommt nicht total erschöpft oder durchgeschwitzt ans Ziel. Außerdem macht die elektrische Hilfe rund 25 Prozent der Gesamtleistung aus, den Rest muss der Radler selbst aufbringen. Bei einer Akkuladung für 100 Kilometer sind also gut 75 Kilometer Eigenleistung enthalten, die man womöglich sonst nicht erbracht hätte.

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