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Cardio Angel: Telemedizin im Rettungswagen

Blaulicht zuckt durch die stille Siedlungsstraße der Vorstadt. Neugierige Blicke hinter den Vorhängen in der Nachbarschaft erkennen vor dem Haus nebenan ein Fahrzeug des Notarztes und einen  Rettungstransportwagen. Geschäftiges Treiben, routinierte, sichere Handgriffe der Rettungssanitäter,  dann klappt die große Hecktüre zu und der RTW fährt ab in die Nacht.

Soweit ist das ein häufiges Vorkommnis, bedrohlich für die Betroffenen, beunruhigend für die Nachbarn und für alle die begründete Hoffnung, in den besten Händen zu sein. In diesem Fall der Rentnerin Maria F. aber kommt künftig noch eine tüchtige Portion Hoffnung dazu – wenn es sich um einen Verdacht auf Herzinfarkt handelt. Mit dem „Cardio-Angel“ wächst die Chance der Patientin um ein Vielfaches.

„Time is muscle! Bei einem Herzinfarkt kommt es – genau wie beim Schlaganfall – auf jede Minute an!“, sagt Dr. Rainer Schamberger, Kardiologe am Klinikum in Lohr. Wenn beim Herzinfarkt die Blutversorgung des Herzmuskels durch ein verschlossenes Herzkranzgefäß behindert ist, stirbt das betroffene Herzmuskelgewebe ab – oftmals irreversibel. Nicht umsonst ist der Herzinfarkt eine der häufigsten Todesursachen. Es gilt also, so Schamberger, die Zeitspanne zu verkürzen von den ersten Symptomen über die Diagnose in der Klinik bis zur Therapie im Herzkatheter-Labor.

Hier hilft seit einem Jahr die Telemedizin mit dem „Cardio Angel“ Leben zu retten. Seitdem sind alle RTW im Main-Spessart-Kreis über das normale Mobiltelefon-Netz mit dem diensthabenden Kardiologen im Herzkatheter-Labor verbunden. Das 12-Kanal-EKG an Bord sowie die Symptomatik helfen den Rettungsassistenten und Notärzten bei der Stellung der Verdachtsdiagnose eines Herzinfarktes. Durch Übertragung des EKGs sowie klinischer Daten wie Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Schmerzsymptomatik direkt in die Klinik kann die Diagnose gemeinsam mit den Spezialisten dort gestellt werden. Schließlich können auch eine Vielzahl von Ursachen wie etwa gastrointestinale, pneumologische oder neurologische Auslöser das Leitsymptom „Brustschmerz“ hervorrufen.

Damit der Prozess optimal abläuft, versendet der Rettungsdienst die Voranmeldung an die Notaufnahme, die dann über das weitere Vorgehen entscheidet. So kann in Lohr ein direkter Transport direkt in das Herzkatheter-Labor erfolgen, ohne dass der Patient zuvor das zeitraubende Notaufnahme-Verfahren durchlaufen muss. Die moderne Technik des „Cardio Angel“ fügt im Gegensatz zu den bisherigen Voranmeldesystemen mehrere Entscheidungskriterien hinzu, die den Kardiologen bei der Indikation unterstützen. Somit kann die oft lebensrettende Behandlung mit dem Herzkatheter ohne Zeitverlust durchgeführt werden.

Ein Wettlauf mit der Zeit

„Time is muscle“ – Ziel ist es, vom Auftreten der ersten akuten Symptome biszum Beginn der qualifizierten Therapie höchstens 90 Minuten vergehen zu lassen. Wird diese Zeitspanne – zum Beispiel durch die Telemedizin – weiter verkürzt, sinkt auch die Sterblichkeit signifikant.

Während der RTW über die „Fränkische Platte“ auf dem Weg zum Klinikum Lohr ist, hat der diensthabende Facharzt bei der Patientin tatsächlich einen Herzinfarkt diagnostiziert und veranlasst, das Herzkatheter-Labor vorzubereiten. Die Station ist täglich rund um die Uhr verfügbar, vier qualifizierte Kardiologen teilen sich eine  24-stündige Rufbereitschaft. Als schließlich Maria F. im Klinikum eintrifft, braucht es keine  Notaufnahme, stattdessen geht es direkt in das Herzkatheter-Labor mit dem typischen großen C-Bogen, wo mit Katheter, Kontrastmittel und Röntgendurchleuchtung eine Stenose erkannt und mittels eines Ballonkatheters und Stents in wenigen Minuten beseitigt werden kann, so dass die Patientin durch schnelles und zielgerichtetes Handeln gerettet werden konnte.

Rund 850 Herzkatheteruntersuchungen bei stabilen elektiven aber auch akuten Patienten wurden laut Dr. Schamberger seit März 2017 durchgeführt und der Mediziner ist von den neuen Möglichkeiten der Telemedizin voll überzeugt. Entwickelt wurde der „Cardio Angel“ vom Zentrum für Telemedizin in Bad Kissingen.

Was ist ein Herzinfarkt?

Unser Herz pumpt nicht nur Blut durch den Körper, um alle Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen, sondern versorgt auch den Herzmuskel.

Wenn Herzkranzgefäße zum Beispiel durch Plaque-Ablagerungen akut verschlossen sind, spricht man von einem Herzinfarkt. Kann der Blutfluss nicht  schnell wiederhergestellt werden, sind die Herzmuskelzellen nach spätestens zwei bis vier Stunden abgestorben. Das bedroht die Funktion des Pumporgans und macht den Herzinfarkt möglicherweise zu  einem lebensgefährlichen Ereignis. Herz-Kreislauf-Krankheiten, in erster Linie Herzinfarkte, sind mit 47 Prozent aller Todesfälle in Europa die führende Todesursache. In den letzten Jahren hat
die Sterbeziffer beim akuten Herzinfarkt in Deutschland allerdings deutlich abgenommen. Nicht zuletzt durch Verbesserung der Erstversorgung.

Symptome

Für einen Herzinfarkt sind plötzlich einsetzende starke Schmerzen hinter dem Brustbein und auf der linken Brustseite typisch, in der Regel halten sie länger als fünf Minuten an. Gelegentlich können sie bis in den Hals oder auch in den Rücken, den Oberbauch und die Arme ausstrahlen. Häufige Begleiterscheinungen sind kalter Schweiß, Blässe, Engegefühl in der Brust, Übelkeit, Atemnot, Unruhe
und Angst. Der Kardiologe vom Klinikum Lohr, Dr. Rainer Schamberger, rät bei solchen Anzeichen sofort den Notarzt unter der Rufnummer 112 zu rufen. Dabei gilt für ihn: „Lieber einmal einen Fehlalarm absetzen, als einen vermeidbaren Todesfall!

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