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Das grüne Klassenzimmer

Leblose Gärten mit grauen und schwarzen Kieselsteinen oder Vorgärten mit Schotterflächen ohne Pflanzen sind für Naturliebhaber ein Graus und werden nicht zu Unrecht oft als „Gärten des Grauens“ betitelt. „Ich möchte, dass die Leute aufwachen und die Natur schätzen“, wünscht sich Jutta Steinmetz aus Himmelstadt. Und je jünger die Menschen sind, desto offener und aufnahmefähiger sind sie für solche Gedanken. Deshalb haben Jutta Steinmetz und ihr Mann Reinhard in diesem Jahr ein besonderes (Pilot-) Projekt in enger Zusammenarbeit mit der örtlichen Schule gestartet: Das „Grüne Klassenzimmer“.

Was das ist, wie es funktioniert und was araus werden soll, erleben wir bei einem Besuch in Himmelstadt. Dort hat sich die Familie Steinmetz im Siedlungsbereich am rechten Mainufer einen Lebenstraum in ihrem 2500 Quadratmeter großen Garten erfüllt und sich mit viel Eigenleistung in über zwei Jahrzehnten vor allem der Biodiversität verschrieben. In der Gartenidylle mit gewundenen Wegen wachsen Kräuter, Gemüse, Salat, hängen Äpfel und Birnen an Bäumen, reifen Beeren an Sträuchern, erfreuen bunte Blumen vom Frühjahr bis Herbst das Auge, quaken Frösche, summen Bienen, sind Nisthilfen aufgehängt, brüten die unterschiedlichsten Vögel, flattern Schmetterlinge, ist allerlei Getier vom Ohrenzwicker bis zum Regenwurm unterwegs.

Mehr Nachhaltigkeit

Längst ist aus Jutta Steinmetz‘ Leidenschaft zur Natur eine Berufung geworden, anderen Menschen die Schönheit der heimischen Landschaft näher zu bringen. Die zertifizierte Gartengästeführerin führt ihre Besucher regelmäßig durch das grüne Paradies, lädt zusammen mit dem Ehemann beispielsweise Gesangsrunden zum „Wirtshaussingen im Freien“ ein. Schon seit einigen Jahren ist das Areal regelmäßig Lehrgarten mit Vorträgen, Themenführungen und Praxistagen rund ums naturnahe Gärtnern. Den beiden ist es ein großes Anliegen, Menschen für die Natur und den Garten zu begeistern, um so mehr Nachhaltigkeit zu erreichen. „Doch seit Jahren fehlen die Kinder“, ist den beiden aufgefallen. Um das zu ändern, haben sie das Konzept des „Grünen Klassenzimmers“ entwickelt. Das Ziel: Schon Grundschüler anzustecken mit ihrer Liebe zu Pflanzen und Tieren, im Einklang mit der Natur. In der Schulleitung der Grundschule Himmelstadt fanden sie große Unterstützer, stießen auch auf offene Ohren im Schulamt Main-Spessart und gewannen mit der Raiffeisenbank Main-Spessart den passenden Kooperationspartner. Noch als Pilotprojekt angelegt, soll das „Grüne Klassenzimmer“ Wellen schlagen, fest verankert werden im Schulalltag der Kinder, der Unterricht im Freien selbstverständliche
Ergänzung zum Unterricht im Klassenzimmer werden. Demnächst wird auch Staatssekretärin Anna Stolz vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus Gast im Landgarten der Familie
Steinmetz sein. Das gemeinsame Ziel: Kinder sollen sich, wie früher selbstverständlich, wieder viel mehr für die Natur interessieren, ein Verhältnis zu ihr bekommen und im Lebensraum Garten erfahren, was
dort lebt und wächst. Neben den Lernorten Bauernhof und Wald soll also ein neuer Lernort Garten etabliert werden.

Umweltbewusstsein entwickeln

„Wir sind eine kleine, feine Schule, sehr kreativ und offen für innovative Ideen, die wir auf den Weg bringen“, so Schulleiterin Tanja Schaub-Gütling. Das „Grüne Klassenzimmer“ orientiert sich am Lehrplan Plus der Grundschule. Verknüpfungspunkte gibt es etwa zur Heimatund Sachkunde, zur Umweltbildung und zum Ziel der direkten Begegnungen mit Tieren und Pflanzen. In diesem besonderen Himmelstadter Garten sollen die teilnehmenden Kinder Umweltbewusstsein und Verantwortungsgefühl entwickeln und auch (er-)leben, wünscht sich die Pädagogin. Mit dem Ehepaar Steinmetz hat sie kreative Initiatoren und aktive Partner, die jede Anregung von Schulseite sofort umgesetzt haben, kaum das sie angedacht und ausgesprochen war. Deshalb trat das Ehepaar Steinmetz, aber auch Sohn Philipp in Vorleistung: Reinhard schreinerte Tische und Bänke und strich sie grün-gelb an fürs Klassenzimmer im Freien unter Apfelbäumen, Jutta bastelte Karten mit Fotos von Tieren oder Pflanzen, die bei der Erkundungstour durch den Garten an die Kinder ausgegeben werden, Sohn Philipp hat sich Symbolfiguren ausgedacht und entworfen, die durch das jeweilige Tagesthema führen. Eine Biene steht für die Artenvielfalt, ein Vogel erklärt die Naturkreisläufe, ein Wurm ist Symbol für die gesunde Erde. Die Symbole finden sich auch wieder in einem dazugehörigen „Gartenerlebnis-Buch“, in dem die wissbegierigen Kinder Aufzeichnungen über ihre Entdeckungen im grünen Paradies machen können.
Gartenbesitzerin Steinmetz vermittelt Wissen über die Nahrung der Tiere – und die Erkenntnis reift bei den Kindern, dass auch Fressen und Gefressen werden in der Natur zum Alltag gehören. Natürlich geht es auch um die eigene Ernährung und das Bewusstsein, dass man sich nicht nur aus einem Supermarkt ernähren kann, sondern einfach – und zudem schmackhaft – auch aus dem eigenen Garten. Bevor es los geht, sind die Himmelstadter Kinder bereits im Schulunterricht auf den Besuch im Steinmetz-Garten vorbereitet worden. Sie durften den Symboltieren Namen geben und freuen sich schon auf Biene „Summsumm“, Vogel „Zwitschi“ und Wurm „Wurmi“ – die sie spielerisch mitnehmen zu den Geheimnissen des Gartens.
Für Mädchen und Buben gibt es vorgefertigte Arbeitsblätter, auf einer Kreidetafel lesen sie, dass sie herzlich willkommen sind im „Grünen Klassenzimmer“. Auch dort gilt: „Leise sein!“ Denn wer Tiere sehen will, darf sich nicht wie ein Elefant im Porzellanladen benehmen. Nun dürfen die kleinen Naturdetektive auf Entdeckungsreise gehen, suchen mit Feuereifer Junikäfer, Ameisen, bewegen sich vorsichtig zwischen Salat und Blumen, stechen den Spaten in die Erde auf der Suche nach Regenwürmern, halten Ausschau nach einem Frosch. Wer ein Tier entdeckt, bekommt aus der Schatzkiste das entsprechende Kärtchen mit dem Foto dazu. Manche haben eine Lupe, andere ein Sammelgefäß für die ganz kleinen Gartenbewohner. Klar, dass diese Anschauungsobjekte danach wieder in die Freiheit entlassen werden.

Zeit vergeht im Flug

Jutta Steinmetz erzählt zwischendurch Spannendes, hält inne am Vogelhäuser-Holzstamm, demonstriert, wie die Piepmätze dort ausfliegen. Die Zeit vergeht wie im Flug. Die vielfältigen Eindrücke werden später im Schulunterricht nachbereitet. In weiteren Unterrichtseinheiten erfahren die Kinder mehr darüber, wo die Tiere eigentlich leben, erkennen Insektenlandeplätze und basteln Schmetterlinge. Ein Thema ist auch, was einen guten Boden ausmacht, wie Kompost entsteht und hilft, die Erde zu verbessern.

Schließlich ist der Steinmetz-Garten erst kürzlich mit der Plakette „Natur im Garten“ für die naturnahe Bewirtschaftung ausgezeichnet worden. Zum Kurs-Abschluss dürfen die Kinder selbst einen Kräuterquark und Blumenbutter zubereiten und dazu hausgemachte Holunderlimonade kosten. Das ist dem Ehepaar Steinmetz wichtig: Die Kinder sollen schon früh lernen, sich aus dem eigenen Garten zu ernähren. Frische und gesunde Lebensmittel gibt es eben nicht nur im Supermarkt oder im Kühlregal. Jeder Schüler, der alle Aufgaben erfüllt hat und sich dafür seinen Stempel geholt hat, wird auch noch mit einer Urkunde belohnt, die ihn als „Naturdetektiv“ auszeichnet. So macht Schule wirklich Spaß!

Die Initiative „Grünes Klassenzimmer“ wird ermöglicht und unterstützt durch die Raiffeisenbank Main-Spessart eG.

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