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Leidenschaft und Emotionen

Das Herz Spaniens schlägt für Flamenco. Er ist ergreifend, schonungslos und leidenschaftlich. Die Feier des Augenblicks, Spontanität und überschäumende Emotionalität sind untrennbar mit ihm verbunden. Nicht nur die ganze iberische Halbinsel ist darin enthalten, auch Mauren und Afrikaner haben über die Jahrhunderte hinweg den Flamenco geprägt, den die UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe der Menschheit erklärt hat.

Er ist Spaniens musikalisches Geschenk an die Welt – ein ungeheuer reiches Zeichensystem aus Tanz, Gesang, Gitarrenspiel und komplexer Rhythmik, ausgeführt mit für Mittel- und Nordeuropäer  ungewohnter Intensität. Flamenco ist aber vor allem Seele. Kann dieser Tanz mit unserer fränkischen Seele korrespondieren, auch von Einheimischen ausgeübt werden? In der Weinbaugemeinde Homburg gibt es das Studio „Sentir Flamenco“ – zu deutsch: Fühle Flamenco. Wir haben uns dort umgeschaut, mit der Inhaberin Kerstin Fischer gesprochen und durften auch in einer Unterrichtsstunde dabei sein. Die gebürtige Marktheidenfelderin liebt Flamenco schon seit sie als Kind mit ihren Eltern nach Spanien gereist ist. In Andalusien wurde sie regelrecht infiziert, sie wollte nicht nur zuschauen, sondern den Flamencotanz selbst erlernen. Deshalb begab sie sich als 22-jährige auf die Spuren des Flamencos. Nach vielen Stationen und Unterrichtsstunden im Inland und in Andalusien begann sie 2012 eine Profiausbildung bei der Cátedra de Flamenco Mariquilla und hat Diplome in diversen Palos abgelegt.  Das sind die unterschiedlichen Tänze oder auch Themen. “Ein Palo ist durch bestimmte Eigenschaften charakterisiert. Dies sind vor allem: die Metrik und Thematik des Textes, Taktart und Grundrhythmus, die Tonart, charakteristische musikalische Motive und die Herkunft … Man hört nicht auf zu lernen“, sagt die Tanzstudio-Inhaberin.

Rhythmus und Feuer

Sie will den echten Flamenco unterrichten, ihn „wahrheitsgemäß in die Welt transportieren und so authentisch wie möglich weitergeben“: diese Leidenschaft zu Andalusien, diesen Rhythmus, das Feuer. „Eben all das, was den Flamenco dort ausmacht“. Das tut sie mit Humor und Gefühl für jeden Einzelnen. „Gemischt mit einer Prise Disziplin und Ausdauer kommen wir zu einem guten Ergebnis“, ist sie überzeugt. Kerstin Fischer bekennt: „Flamenco gehört zu meinem Leben mit seinen Höhen und Tiefen. Er fordert mich täglich heraus und lässt mich stetig wachsen. Er lässt mich die Erde spüren und in die Lüfte steigen …“

Für viele steht der Flamenco für die Musik Spaniens schlechthin – dabei kommen die leidenschaftlichen und schmerzvollen Klänge aus Andalusien. Die „Gitanos“ genannten andalusischen Roma haben ihn ebenso beeinflusst wie viele andere Volksgruppen auch. Verzweiflung und Wut, aber auch überschäumende Lebensfreude, drückten sie zunächst allein im Gesang aus. Erst später gewannen Tanz und Gitarrenbegleitung an Bedeutung. Die Anziehungskraft, die der revitalisierte Flamenco auf seine Anhänger ausübt? „Sie liegt im Wunsch, sein Leben mit Würde und Leidenschaft zu leben, erhobenen Hauptes, trotz all der Widerstände und Zumutungen, die uns die moderne Gesellschaft auferlegt“, so Journalist Stefan Wimmer in einem Beitrag für den Deutschlandfunk.

Einsatz von Armen und Füßen

Flamenco ist die Bezeichnung für eine Gruppe von Liedern und Tänzen aus Andalusien und bildet eine Einheit von Gesang (cante), Instrumentalspiel (toque), insbesondere dem Spiel der Gitarre (guitarra flamenca) und Tanz (baile). „Man muss den Gesang verstehen lernen, das Zusammenspiel mit der Gitarre, die Rhythmik, die Struktur der einzelnen Palos. Ein Anfänger beginnt mit den einfachen Strukturen, den Sevillanas mit vier Strophen. Dabei lerne man schon alles kennen, also den Einsatz der Hände, Arme und Füße. Dann geht es weiter mit Rumbas oder Tangos, bis man die nächste Stufe erreicht mit den schwierigeren Zwölfer-Rhythmen. In jedem Level werden zudem Accessoires eingesetzt wie das „Mánton“, ein großes quadratisches Tuch mit langen Fransen, das zu einem Dreieck gelegt wird und oftmals aufwändig bestickt ist, oder ein Fächer.

Wer zu Kerstin Fischer Tanzen kommt, sollte nicht nur einen Rock mitbringen, sondern vor allem Schuhe mit einem Absatz. Alle Schülerinnen – derzeit üben nur Frauen in dem Homburger Studio – tragen professionelle Schuhe: Sie haben eine verstärkt genagelte Spitze und einen breiten, niedrigen Absatz mit Nägeln; die mit Leder überzogene Sohle ist aus Holz, was den Schuh schwerer und den Klang lauter macht. Wer Rhythmusgefühl mitbringt und Grundverständnis für die Musik, hat es sicherlich  leichter. Seit etwa einem dreiviertel Jahr leitet Kerstin Fischer mittwochs einen Anfängerkurs, möchte aber auch noch weitere Anfängerkurse starten. Dienstags läuft zudem seit etwa drei Jahren ein Mittelstufenkurs.

Mehrere Kurse im Angebot

Die fortgeschrittenen Schülerinnen in ihrem Freitagskurs sind zum Beispiel Lehrerin, Bankangestellte, Personalerin, doch das zählt in der Übungsstunde am Abend nicht. Dort schalten sie ab vom Alltag und mit dem ersten Ton aus dem Lautsprecher konzentrieren sie sich auf ihren Einsatz, versuchen die von Lehrerin Kerstin entwickelte Choreografie umzusetzen. „Ich habe einen Tanz gesucht, den ich als Frau auch alleine ausüben kann“, schildert Ina Zeller-Dawen aus dem Raum Aschaffenburg, wie sie den Weg zum Flamenco fand. Los ging es mit einem Kurs in der Volkshochschule, doch das reichte ihr schnell nicht mehr, denn der Rhythmus habe sie gepackt. Jetzt nimmt sie regelmäßig Unterricht, geht einmal im Jahr in Flamenco-Urlaub, denn „mit der Ästhetik komme ich auch nach 18 Jahren noch nicht klar“, bekennt die 49-jährige. Es gebe immer etwas zu verbessern, damit die Füße noch exakter gesetzt werden, die Kastagnetten sauberer klingen, die Haltung verbessert wird, sagt die  Oberstudienrätin der Fachschaft Biologie des Spessart-Gymnasiums Alzenau. Obwohl jede Frau dieselbe Choreografie tanzt, lässt jeder Schritt und jede Geste die Grazie und Schönheit der einzelnen Tänzerin erkennen. Gerade das findet auch die langjährige Flamenco-Anhängerin toll.
Bereits seit zwölf Jahren tanzt Kerstin Encinar aus Urspringen schon Flamenco. Als Single kam sie einst nach Andalusien, lernte die Grundschritte in einer Tanzschule in Aschaffenburg, wo sie einst wohnte. Jetzt ist die Ehefrau eines Spaniers regelmäßig in Kerstin Fischers Fortgeschrittenenkurs. Zufrieden ist die 44-Jährige, wenn ihre spanische Schwiegermutter ihre Fortschritte erkennt. „Flamenco ist für mich auch eine Ehrerbietung und eine Selbstverständlichkeit“, sagt sie. Genauso lange ist auch Katja Schreck schon dem ausdrucksstarken Tanz verfallen. Als die 48-jährige Marktheidenfelderin damals die Musik hörte, wollte sie den Tanz dazu gleich im Urlaub ausprobieren. Nach einem Schnupperwochenende ist sie dabeigeblieben.
Susanne Schreck (40) hatte schon Salsa getanzt, kannte lateinamerikanische Tänze wie Rumba oder Cha-Cha-Cha, suchte aber auch eine Musik für sich, bei der sie sich alleine bewegen konnte. Nach einem Vhs-Kurs bei der Marktheidenfelder Vhs blieb sie bei Kerstin Fischers Flamenco-Schule und ist zur großen Anhängerin geworden – einschließlich mehrerer Kurse auch im Süden Spaniens.

Tablao am 17. November
Wer Flamenco in all seinen Facetten erleben möchte: Nach dem erfolgreichen ,restlos ausverkauften ersten „Tablao“ wird es ein weiteres in intimer Atmosphäre am 17. November um 19 Uhr im Studio Sentir Flamenco in der Maintalstraße 26 in Homburg geben, bei dem die Zuschauer hautnah dabei sein können. Ein „Tablao“ bedeutet in Andalusien „Podium, Bühne“ und ist normalerweise ein Lokal oder Restaurant mit einer Bühne für Flamenco-Darbietungen. In Homburg sind Mitte November die Künstler Juan Granados (Cante – Gesang), Francesco Ficco (Toque – Gitarre); Kerstin   Fischer und Nadine Diehl
(Baile – Tanz) dabei. Zudem treten zum Frühlingsanfang am 21. März 2020 alle Klassen der Flamenco-Schule „Sentir Flamenco“ von Kerstin Fischer in Marktheidenfeld im St. Laurentius Pfarrheim zusammen mit dem Orchester SaxoStrinx bei einer spanischen Nacht zugunsten des Kinderhospiz Sternenzelt Mainfranken e. V. auf. sentir-flamenco.jimdo.com

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